Die Oberflächen veränderten sich. Zuerst
erschien mir der Spiegel anders. Und als ich mit meinem Finger über ihn strich,
spürte ich es: Da waren feine Erhebungen. Kleine Punkte. Sie fühlten sich weich an. Und folgten dem
Strich meines Fingers. Ich konnte die Punkte auf dem Spiegel fühlen. Sehen
jedoch nicht. Ähnliches geschah mit meinem Arbeitstisch. Mit Türen. Die ich
öffnete. Oder schloss. Dann mit den Scheiben in der U-Bahn. Überall waren diese
Erhebungen. Und als ich in der Bahn wie beiläufig die Scheibe berührte, war
mir, als wäre da etwas. Unter den Punkten. Etwas, das unter Spannung stand. Und
sich nach oben drückte. Und als ich wenig später das Bürogebäude betrat und im
Aufzug stand, sah ich es. Jetzt sah ich es. Die Innenflächen des Aufzugs
begannen zu keimen. Was sich dort zeigte, hatte die Farbe und Beschaffenheit
des Aufzugmaterials. Es wuchs. Es kam heraus. Und entfaltete sich. Allmählich
begann ich zu verstehen, was dies bedeutete: Die Räume würden sich schließen. Da
von allen Seiten, den Decken und Flächen, etwas aufeinander zuwuchs. Sich den Raum
nahm. Und ihn besetzte. So stieg ich aus. In der dritten Etage. Und ging die
restlichen Stockwerke zu Fuß. Aber auch dort wurde der Gang schon enger. Und
als ich die Tür meines Büros öffnete, war alles darin verwachsen. Es war
zugewachsen. Und so schloss sich alles. Zimmer. Korridore. Aufzüge. Häuser.
Flughäfen. Bahnen. Und Schiffe. Ich verließ die Stadt. Die jetzt eine Wucherung
war. Und nach den Innenräumen nun auch die Außenräume befiel. Zwischen den
Häusern. Den Gebäuden. Und Fabriken. Auch dort verdichtete sich der Raum. Bis
er abgedichtet war. Ich verließ die Stadt. Und es galt, einen anderen Ort zu
finden. Ein Ort, der noch freistand. Ich ging. Und ging. Weiter. Und dann
wusste ich, dass ich frei stand.
Sonntag, 29. Januar 2017
Freitag, 27. Januar 2017
Uhren
Die Uhren gehen. Und vergehen. Hier. Sie
gehen vorüber. Und gehen. Ein. Sie sind im Laufe der Zeit, die sie selbst anzeigen
und somit zu verantworten haben, gesunken. Immer mehr sind sie in Richtung Erde
gesunken. Sie sind auf die Erde gesunken. Von Türmen. Und Masten. Schränken und
Kommoden. Und von Handgelenken. Den Gelenken derer, die sie trugen. Sie sind auf den Boden gesunken. Auf den Boden
der Tatsachen. Und haben selbst eine Tatsache geschaffen: Dass die Zeit
vergeht. Indem sie sinkt. In Richtung Boden. Und neuerdings sogar bis in den Boden.
Hinein. Die Uhren, einstmals mit einem festen Gehäuse ausgestattet, sind weich
geworden. Wie Wachs. Sie zerfließen. Und sickern in den Boden. Ein. Was sich
hier sammelt und was sie speisen, ist der Zeitstrom. Von dem niemand weiß, wo
er hinfließen wird. Ob er irgendwo, an einem anderen Ort, wieder über die Ufer
treten wird. Womöglich tritt der Zeitstrom an einer anderen Stelle wieder über
die Ufer. Überschwemmt alles. Und macht das Land fruchtbar. Urbar. Und
vielleicht werden auf diesen Feldern andere Uhren wachsen. In denen eine andere
Zeit gedeiht. Fernab von Ziffern und Zeigern. Es könnten Wellen sein. Oder
Blitze. Oder eine Garnrolle. Die auf den Boden fällt. Und sich entspult.
Mittwoch, 25. Januar 2017
Flatternde Gärten
Ich war jetzt am Meer. Die Sonne stand im Zenit.
Und ich wanderte über den Deich. Es war Ebbe. Was sich jetzt im zurückgehenden Wasser
zeigte, waren Gärten. Sie waren terrassenförmig angeordnet. Und von üppigem
Wuchs. Ich sah Blumen. In prachtvollen Farben. Da waren Gemüsebeete. Und man
hatte sogar Rebstöcke gepflanzt. Die Gärten mussten sich bei Flut auf dem
Meeresboden befinden. Es waren Wassergärten. Und ich beschloss, meinen
Spaziergang fortzusetzen. Und in einigen Stunden, wenn die Flut kam, wieder auf
den Deich zurückzukehren. Als ich gegen Abend an die Stelle zurückkam, war das Wasser
schon merklich gestiegen. Es würde aber noch einige Zeit dauern, bis alles
überflutet war. Die Gärten jedoch waren schon jetzt verschwunden. Ich überlegte
mir, bei dem übernächsten Gezeitenwechsel (beim Übergang von Ebbe zu Flut)
wieder hier zu sein, um alles mitzuverfolgen. Und als ich wiederkam, hatte ich
Glück: Die Gärten waren noch da. Und das Wasser begann gerade, langsam zwischen
die Blumen und Pflanzen zu strömen. Plötzlich veränderte sich das Bild. Und die
Gärten erhoben sich in die Lüfte. Und flogen davon. Wie Vögel. Als ich sie aus
den Augen verloren hatte, ging ich zurück. Und kam an einer Fischerhütte
vorbei. Dort saß ein Mann. Und flickte sein Netz. Ich blieb stehen. Und sprach
ihn an auf das, was ich gerade gesehen hatte. Er zeigte auf die Netze. „Wir
fangen seit Jahren keine Fische mehr“, sagte er. „Niemand hier kann das. Wir
versuchen stattdessen, die Gärten einzufangen. Mit unseren Netzen. Aber sie
flattern uns davon. Bei jeder Flut. Wir wissen, dass sie zurückkommen. Bei
Ebbe. Dennoch möchten wir nicht sein. Ohne Netze.“
Dienstag, 24. Januar 2017
Über einem Wald
Das Flugobjekt, in dem ich saß, drosselte
seine Geschwindigkeit. Es war kein hartes Abbremsen, sondern ein sanfter
Übergang. Schon hatte ich das Gefühl, zu schweben. Und als ich aus dem Fenster blickte,
sah ich unter mir einen Wald. Es war ein dichter Laubwald. Und er reichte so
weit, dass ich das Ende oder seine Begrenzungen selbst von hier oben nicht
erkennen konnte. Ich beobachtete nun, wie ein Besatzungsmitglied am Ende des
Korridors eine Luke öffnete. Seltsamerweise blieb es ganz still. Und reglos.
Ich hatte mit einem heftigen Sog gerechnet. Dann nahm er drei Behälter, die ihrer
Form nach Sandsäcken glichen, und ließ sie aus der Luke fallen. Kaum waren die
Behälter in der Luft, öffneten sie sich. Und roter Staub trat aus. Der sich nun
wie eine Glocke über den Wald legte. Das Besatzungsmitglied hatte die Luke
wieder verschlossen. Und kam über den Korridor zurück. Als er auf meiner Höhe
war, hielt ich ihn an. Mit einem Handzeichen. Er beugte sich zu mir hinunter. „Ich
kenne Ihre Frage“, sagte er. „Das Rote dort unten ist ein Schirm. Bald schon
wird es zu regnen beginnen.“
Montag, 23. Januar 2017
Aus Mündern wachsen
In der Stadt, in der ich wohne, gibt es
keine Geschäfte. Die nächsten Einkaufsmöglichkeiten sind Meilen entfernt. Und
da niemand hier über ein Fahrzeug verfügt und die Stadt auch nicht angefahren
wird, müssen wir das, was wir brauchen, anders beschaffen. Als ich hier hinzog
(und das ist schon viele Jahre her), wurde die Stadt noch von Drohnen versorgt.
Irgendwann blieben sie aus. Deshalb sind wir dazu übergegangen, uns selbst zu
versorgen. Was wir brauchen, wächst aus uns selbst. Genauer gesagt: Aus unseren
Mündern. Lebensmittel. Kleidungsstücke. Bauteile elektrischer Geräte. Wir haben
uns spezialisiert. Sind arbeitsteilig. Und leben im Tauschhandel. Anfangs mit
Einschränkungen: Wenn etwas aus dem Mund wächst, fällt das Sprechen schwer. Und
das Essen besonders. So war diese Methode zunächst sehr beschwerlich. Aber wir
perfektionierten sie. Alles wächst jetzt innerhalb weniger Minuten. Wir können
sogar einige Dinge auf Lager legen. Und haben einen Vorrat. Das ist neu. Und
noch ganz ungewohnt. Von Zeit zu Zeit erhalten wir Besuch. Von außen. Aus anderen
Ländern. Und Städten. Die sich ähnlich versorgen möchten. Man fragt uns nach
dem Saatgut. Der Ursprungszelle. Oder einem Keim. Aus dem sich dann alles
entwickelt. In unseren Mündern. Und wir sind uns nicht sicher, wie wir die
Frage beantworten wollen. Denn das, was hier wächst aus uns, ist ganz gläsern.
Und bedarf keines Keims. Genau wie wir.
Im Innern
Wenn ich schlafen möchte, ziehe ich mich in einen
Winkel zurück. Manchmal ist das ein Platz in meinem Kopf. Oder in meinem Magen.
Ich habe auch schon in meinem Knie geschlafen. Mich hat lange die Frage
beschäftigt, wo ich eigentlich bin. Und bleibe. Während des Schlafs. Mich jetzt
an diesen Orten zu wissen, beruhigt mich. Und so kann ich mich selbst beim
Aufwachen gut wiederfinden. Bevor ich diese Technik für mich entdeckte, war ich
oft ortlos. Und unverankert. Was ich manchmal auch genoss. Denn ich zog aus.
Und bevölkerte Gebirge. Bücher. Das Fell von Hunden. Einmal war ich auch in
einem Rechner unterwegs. Lief Pfade ab. Sprang von Datei zu Datei. Las. Und
betrachtete Bilder. Und wusste mehr. Danach. Ich hatte auch gelernt,
Verbindungen herzustellen. Verknüpfungen. Zwischen einem Ort außerhalb meiner selbst. Und mir. So war ein Netz entstanden. Das sich immer weiter verästelte. Und
so band ich neue Dinge ein. Die eigentlich nichts mit mir zu tun hatten. Damit
meine ich: Zu denen nicht ich mir selbst Zugang verschafft hatte. Mein Eindruck
war nicht unmittelbar. Sondern vermittelt. Durch Andere. Es waren Bilder. Die
ich nicht gesehen hatte. Düfte. Nicht
von mir gerochen. Melodien. Nicht von mir gehört. Und Gefühle. Die ich nicht
selbst gespürt hatte. Und obwohl mich diese Eindrücke nicht direkt geprägt
hatten (im Ursprung), hinterließen sie Ausbuchtungen. Einen Eindruck in mir. Im
ganz wortwörtlichen Sinn. Ich wurde geprägt. Und ich wölbte mich. Von innen. Nach
außen. Und so war ich zu einem Gewölbe geworden. Irgendwann verlor ich mich
darin. Ich rief. Und hörte doch nur das Echo meiner eigenen Stimme. So kehrte
ich zurück zu mir. Und seither sind es die Schlafwinkel. In meinem Innern. Die
mir Ruhe geben.
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