Orla Wolf

Orla Wolf
zuckerauge: ISSN 2569-9458

Samstag, 30. Juli 2016

Krokodile



Dunkelgrün. Schuppenpanzer. Und ein langgestreckter Schädel. Mich ängstigt das Maul. Die großen Unterkieferzähne. Ich bin diesen Tieren selten begegnet. Vielleicht dreimal. Im Zoo. Hinter einer Scheibe. Ich verspürte Unbehagen. Bei ihrem Anblick. Diese Trennung in ein Davor und Dahinter erschien mir zu brüchig. Ich traute ihr nicht. Doch wir sollten uns wiederbegegnen. An einem anderen Ort. Ich ging, wie so häufig, in einem Park spazieren. Dieser Park gefiel mir. Weil er ein wenig hügelig war. Ich mochte die weitläufigen Wiesen. Die meistens menschenleer waren. Und es gab Steine. Findlinge. Von beträchtlichem Umfang. Der Park lag in einer eiszeitlichen Rinne. Die Gegend war früher Sumpfgebiet. Und es gab hier einst einen See. Den man dann zugeschüttet hatte. Das Grundwasser stand immer noch recht hoch. Wenn es regnete, bildeten sich schnell kleine Seen. In der Nacht hatte es stark geregnet. Sodass ich auf der Wiese, auf der ich häufiger saß und mich sonnte, wieder einen kleinen See vorfand. Das mochte ich sehr. Ich ging an den Rand des Sees. Und betrachtete den Klee, das Moos und das Gras. Alles war jetzt unter Wasser. Und ich sah, dass kleine Blasen aufstiegen. Ich tauchte meine Hand in das Wasser. Und war überrascht, wie warm es war. Dann ging ich ein Stück zurück. Und setze mich auf die Wiese. Von hier konnte ich den See gut betrachten. Es war sehr still. Ich sah keine Menschen. Und dann ging etwas vor. Im See. Die Wasseroberfläche kräuselte sich. Wurde dann welliger. Die Wellen traten bereits über die Ufer. Und dann kam etwas hervor. Aus dem See. Es waren dunkelgrüne Tiere. Mit einem Schuppenpanzer. Die sich in einer Prozession aus dem Wasser begaben. Eines hinter dem anderen. Sie kamen näher. Und ich sah, dass es Krokodile waren. Das vordere Tier sah mich an. Meine Angst löste sich. Und ging. In den See. Auf der Wiese bildeten die Tiere einen Kreis. Von beachtlichem Umfang. Und dieser Kreis drehte sich. Schneller und schneller. Sodass die Konturen verschwammen. Alles verschwamm. Vor meinen Augen. Und ich schloss sie. Auch, weil mir schwindelig wurde. Als ich sie wieder öffnete, standen dort Weiden. Im Kreis gepflanzt. Ich komme jetzt oft hierher. Und sitze im Schatten der Bäume. Mit ihren Stämmen aus Schuppenpanzern.

Wirbeltier



Unter dem Putz zeichnete sich etwas ab. Eine Wirbelsäule. Von etwas sehr Großem. Ich sitze nahezu täglich an diesem Tisch. Mit Blick auf eine Wand. Ohne Tapete. Ich war kurz in die Küche gegangen, um mir ein Glas Wasser zu holen. Draußen war es schon dunkel. Es stürmte ein wenig. Aber das beschäftigte mich nicht besonders. Oder vielmehr: Es lenkte mich nicht ab. Weil ich zu tun hatte. An meinem Schreibtisch. Und in Gedanken bei den Papieren war, an denen ich weiter arbeiten wollte. Dann sah ich es: Da war etwas, das sich auf meiner Wand abzeichnete. Unter meiner Wand. Denn es lag ja nicht auf dem Putz. Sondern darunter. Ich konnte die einzelnen Wirbel deutlich erkennen. Unten, direkt über der Fußleiste, verjüngten sie sich. Nach oben hin wirkten sie kräftig. Die Wirbel reichten fast bis an die Oberkante meines Türrahmens. Ich sah keinen Kopf. Und auch keine Extremitäten. Vielleicht hing das mit der Lage dieses Wirbeltiers zusammen. Es grub seinen Kopf gerade ganz tief in die Wand. Und suchte nach etwas. Mit Händen und Füßen. Im Innern. Der Wand. Sodass sich sein Körper nach vorne zog. In die Wand. Und ich es nicht sah. Ich wusste nicht, woraus diese Wand eigentlich bestand. Vielleicht aus Steinmehl. Man hatte in einer Kiesgrube Steine zermahlen. In denen Fossilien waren. Und die sich hier jetzt wieder neu zusammensetzten. In meiner Wand. Sodass sich Altes abzeichnen konnte. Und ich es sah. Plötzlich ging eine Vibration durch den Raum. Sie durchzog den Fußboden. Denn ich spürte sie deutlich in meinen Füßen. Jetzt bebte es. Und dann bemerkte ich, dass es von der Wand ausging. Schon rieselte an einigen Stellen im Raum der Putz herunter. Und dieses Beben nahm zu. Und als ich auf die Wand sah, bewegten sich die Wirbel. Dann lösten sie sich. Aus der Wand. Und die Wirbelsäule drückte sich heraus. Und verschwand. In etwas jenseits der Wand. Ich hörte Laufgeräusche. Wie Hufe. Sie hallten lange nach. Dann war es still. In der Wand. Und ich sah jetzt die Rinde eines Baumes. Die sich deutlich abzeichnete. Auf ihr.      


Mittwoch, 27. Juli 2016

Grammophon



Ich erinnere mich gar nicht mehr genau, wie das Gerät zu mir kam. Es begleitet mich jetzt schon seit so vielen Jahren. Jahrzehnten sogar. Irgendwann kamen auch die Platten hinzu. Sie waren einfach da. In meinem Haus. Ich konnte sie nur an den Farben ihrer Etiketten unterscheiden. Es gab keine Schrift darauf. Ich rechnete damit, beim Abspielen Musik zu hören. Stattdessen vernahm ich Stimmen. Da redeten Menschen von einem blauen Haus. Mit quadratischen Fenstern. Und auf dem Platz vor dem Haus gab es eine Statue. Daneben zwei Bänke. Auf denen Menschen saßen. Zwei links. Einer rechts. Und die Person, die allein auf der Bank saß, schaute hoch. Zu dem blauen Haus. Mit den quadratischen Fenstern. Und das tat sie wohl jeden Tag. Dieser Mensch, der vor dem Haus saß und schaute, wusste aber nicht, dass es hinter dem Haus noch etwas gab. Etwas ganz Anderes. Denn hinter dem Haus lag immer Schnee. Und in dem Schnee stand ein Pferd. Und auch dieses Pferd schaute in die Fenster. Von der anderen Seite des Gebäudes. Die beiden Menschen auf der anderen Bank überlegten nun, ob der Mann und das Pferd wohl voneinander wussten. Das taten sie jeden Tag. Sie saßen dort. Und dachten. Genau dieses. Und jetzt sprang die Platte. Was die Platten grundsätzlich taten. Sie sprangen an der entscheidenden Stelle. So gaben die Platten mir Rätsel auf. Auch verhielt es sich mit Platten so, dass sie bei jedem Abspielen eine andere Geschichte erzählten. Es war jedes Mal ein neues Stück. So ging es beim nächsten Hören der Platte jetzt um einen Mann, der vor seinem Schuppen Paddel fand. Und diese Paddel waren ineinander verkeilt. Und verwuchsen dann miteinander. Der Mann konnte sie nicht mehr voneinander lösen. Den Kanuten auf dem angrenzenden Fluss kamen regelmäßig ihre Paddel abhanden. Als gäbe es einen Magneten. Am Schuppen. Des Mannes. Wo sie sich dann verfingen. Ich überlegte, was es mit den Paddeln und der Anziehungskraft, die vom Schuppen ausging, auf sich hatte. Und vermutete einen Magnetismus der Hölzer. Das Grammophon und seine Geschichten wurden mehr und mehr meine Welt. In der ich mich am liebsten aufhielt. Und deren Geschichten ich lauschte. Genau wie dieser hier. Gestern.

Montag, 25. Juli 2016

Im Kokon



Die Fliese sah anders aus. Und als ich sie berührte, gab sie nach. Sie zerbrach. Wie eine Eierschale. Dahinter war eine Halle. In der Menschen standen. Ich näherte mich ihnen. Die Halle glich einer Kathedrale. Ein Prachtbau, dachte ich. Dieser Begriff stellte sich ein. Um diesen Ort zu begreifen. Ich stand in der Mitte des Raums. Von hier waren die Wände des Bauwerks nur undeutlich zu erkennen. So weitläufig war es. Und als ich nach oben schaute, war keine Decke zu sehen. Da war nichts. Eingezogenes. Was den Raum begrenzte. Oder abschloss. Nach oben hin. Es war auch kein Himmel zu erkennen. Und die Menschen, die in der Halle standen, schauten nach oben. Als würden sie auf etwas warten. Ich trat näher heran. Sie unterschieden sich von mir. Und schienen einer anderen Zeit zu entstammen. Ihre Kleidung war mir fremd. Die Stoffe, aus denen ihre Kleider gemacht waren, sahen aus wie Staub. Bunter Staub. Der glänzte. Wie ich es sonst von den Flügeln der Schmetterlinge kannte. Ich lag nicht falsch. Das zeigte sich jetzt. Das, worauf die Menschen warteten, traf ein. Trat ein. Von oben. Es waren Falter. Ein ganzer Schwarm. Sie waren purpurfarben. Mit weißen Augen. Auf ihren Flügeln. Sie waren groß. Und maßen eine Elle. Wind kam auf. Er war so stark, dass ich mich an einer Säule festhielt. Und schon nach kurzer Zeit war der Boden bedeckt. Mit den Faltern. Die ganz ruhig wurden. Und still. Reglos saßen sie da. Und mir war, als schliefen sie. Und die Menschen legten sich dazu. Ganz behutsam. Um sie nicht zu zerdrücken. Und ich sah ihnen dabei zu. Allem Anschein nach war ich noch nicht entdeckt worden. Weder von den Menschen noch den Faltern. Jetzt schliefen alle. Und dann hörte ich ein Geräusch. Etwas Schabendes. Außen. Es schabte an den Außenwänden. Und an den riesigen Fenstern. Da regte sich etwas. Da rankte etwas. Etwas wucherte. Dort draußen. Und es wurde immer dunkler. In der Kathedrale. Das mussten Pflanzen sein. Ranken. Die alles umfingen. Aber was ich durch die Fenster sah, war nichts Grünes. Es war weiß. Es sah aus wie ein Wollfaden. Der sich immer mehr und immer dichter um die Kathedrale legte. Bis alles abgeschlossen war. Zu. Wir atmeten. Aber es drang kein Licht mehr zu uns durch. Und dann verstand ich: Wir befanden uns in einem Kokon. In einem riesigen Kokon. Wir waren eingesponnen. Vielleicht schlüpften wir bald. Ich wusste es nicht. Alles schlief. Noch immer. Dann musste auch ich eingeschlafen sein. Und als ich wieder aufwachte, erwachten alle. Alles. Auch die Anderen. Aber es gab ja gar nicht mehr dieses Andere. Denn alles war jetzt eins. Wir waren zu einem einzigen Falter geworden. Der sich nun prachtvoll erhob.

Die Creme. In der die Nacht ist.



Das ist kein Slogan. Oder irgendetwas, das ich gelesen habe. Sondern es beruht auf meiner eigenen Erfahrung. Es verdichtete sich nämlich, dass in der Creme, die ich abends auf mein Gesicht auftrug, die Nacht war. Zum ersten Mal fiel es mir auf, als ich im Bad vor dem Spiegel stand und plötzlich das Licht erlosch. Sogleich erschienen unter der Decke Sterne. Und kurz darauf auch ein Mond. Es war kein Vollmond. Aber der Mond hatte die Kraft, den Raum auszuleuchten. Sodass ich mich sah. Im Spiegel. Und ich nutzte diesen hellen Moment, um noch ein wenig mehr von der Creme aufzutragen. Dann hörte ich Geräusche. Da war das Zirpen von Zikaden. Ein Käuzchen rief. Und von ganz weit her hörte ich einen Wolf. Ich vernahm ein Knacken und Rascheln. Mir war, als sei ich auf einer nächtlichen Pirsch. In einem Wald. Oder am Rande eines Felds. In meinem Spiegel tauchten jetzt zwei Punkte auf. Und als ich sie näher betrachtete, waren das meine Augen. Es waren gelbe Augen. Die leuchteten. Von innen. Und diese neuen Augen, diese gelben, schienen auch eine Wärmequelle zu sein. Denn der Spiegel zerfloss. Schon war da ein silberner Strom auf dem Boden meines Badezimmers. Und ich sprang hinein. In diesen Strom. Und ließ mich treiben. Weit hinaus. Und schon sehr bald hatten wir den Raum, das Haus, die Straße, die Stadt und vielleicht auch das Land verlassen. Wo ich jetzt bin, ist Nacht. Die mir, mit diesen Augen betrachtet, aber nicht wie eine Nacht erscheint. Sondern es ist taghell. Liegend betrachte ich das Firmament. Über mir. Da ist ein glühender Himmelskörper. Mit einem Schweif. Und ich folge ihm. Mit meinen Augen. Und sehe, wo er einschlägt. Dort kommt  jetzt Dampf aus der Erde. Und ich gehe näher heran. Aus dem Krater tritt nun etwas hervor. Ganz langsam. Was sich zeigt, ist ein Wesen. Ein fleischiges Wesen. Und sein Geruch kommt mir bekannt vor. Es ist die Creme. In der die Nacht ist. Und wir verständigen uns darüber. Und auch diesem Wesen leuchten die Augen. Ganz gelb jetzt. Und strahlend. Und obwohl es hier Nacht ist, immer Nacht ist, wird es hell. Doppelt hell. Durch dieses zweite Augenpaar. Das jetzt hervorgetreten ist. Und ich weiß, dass sich das fortsetzen wird. Und noch Viele hervortreten werden. Und es so immer heller wird. Mit jedem Augenpaar. Die Nächte werden gleißend hell sein. So hell, dass sie aufgehen in diesem Hell. Und man die Nacht nicht mehr sieht.